Dieser Fischer fischt im HafenNews-Meldung vom 26.04.2006

Es ist ein einzigartiger und typischer Sound, wenn die Maschine der MJ Kalinin den schwarzen Schiffsrumpf durch den Sassnitzer Hafen treibt. 1951 wurde der Fischkutter im damaligen Damgarten gebaut. Namenspatron war der russische Begründer der Zeitung Prawda. Andere Zeiten, andere Sitten.Der Kutter ist 24 Meter lang und noch aus Holz. Anders als die klassischen Sassnitzer 26-er Stahlkutter aus der Volkswerft Stralsund, die noch heute wegen ihrer Robustheit mit ihrem 50-er Jahre Design diesen Hafen dominieren, ist die Kalinin wegen ihrer traditionellen Bauart in jener Zeit schon eine Rarität. Auch im Sassnitzer Hafen, der einmal 200 Fischereischiffe beherbergte. Ein Politbürobeschluss machte ihn neben Rostock zum zweiten Bein der Fischereipolitik der DDR. Während Binz Seebad blieb, galt hier fortan die Währung Fisch. Und Sassnitz wurde 1957 eine der jüngsten Städte Deutschlands.

1991 kauften die heutigen Eigner das umgebaute Schiff für touristische Fahrten. Die Kalinin Touristik GmbH (KTG) entstand. Einer der Gründer ist verstorben, Peter Lehmann fährt in der Kombüse. An Land verteilt Ilona Wünscher ungezählte Prospekte. Frontmann und Rügens bekanntester Kapitän jedoch ist der bärtige Thüringer im Fischerhemd. Mit seinem unverkennbaren Akzent kennt ihn jeder: Helmut Wünscher.

"Schauen sie, die beiden Blauen und der Grüne da drüben, das sind sie, die 26-Meter-Kutter. 50 Tonnen Fisch konnte jeder 26 Meter lange Kutter mit sieben Mann Besatzung transportieren" spricht Maschinist Helmut Wünscher an Deck in sein Mikrofon. Gerade ist die Kalinin nahe dem Molenkopf gestartet. Wenn Wünscher startet, bleiben Punkt und Komma manchmal auf der Strecke. Sein Tonfall, eher ein Singsang, der auch heute noch nicht auf Küste schließen lässt, verlangt Ruhe und Konzentration von den Gästen. "Vom Schiffstyp 26-er hatten wir mal 50 Schiffe und sie brachten jede Saison 6000 Tonnen Hering nach Hause. Selbst in Afrika fischten wir. Ebenso lagen hier sechs Frosttrawler und zwei KTS-Schiffe zur Verarbeitung bei Flotillenfischerei... . Kühl-Transportschiffe", ergänzt er die manchmal noch durchbrechende DDR-Abkürzungslust. "Gerochen hast du die KTS, bevor sie zu sehen waren. Und wenn sie da rüber schauen. Die Havel, das ist unser Museumsschiff im Originalzustand der damaligen 26-er. Genau so, wie sie 1956 gebaut wurde. Mit allem technischen Schnickschnack."

Die Sprache macht es deutlich: Wünscher, 1948 im thüringischen Apolda im Dreieck Jena und Weimar geboren, war einst Binnenländer. Seefahrt lag dem Land- Maschinen- und Traktorschlosser jedoch näher als die Scholle. Was bei entsprechender Eignung bestens über den Militärdienst bei der Marine funktionierte. Als Schiffselektriker fuhr Wünscher drei Jahre zur See. Als Seebär hatte er danach genügend Zeit für Bewerbungen. Denn wer bei der Armee diente, war für die zivile Seefahrt zwei Jahre gesperrt. Fluchtgefahr und Geheimnisverrat waren eine der Dauersorgen der DDR.
1972 ging des Seemannes größter Wunsch beim Fischkombinat Sassnitz in Erfüllung. Der technische Offizier erwarb 1984 bis 1985 seine Patente und fuhr auf Frosttrawlern und Kuttern.

Langsam und kraftvoll bollert die Maschine. Der Bug teilt das von Kreide grün gefärbte Wasser. Überall auf dem Sonnendeck und im Niedergang der Kalinin sind Lautsprecher angebracht. Damit hat Wünscher die akustische Lufthoheit. "...Die Sassnitzer hatten sich damals eine Kurpromenade gebaut bis dahin, wo die Kreidefelsen anfangen." fährt er mit dem Tourismus fort. Eben passiert die Kalinin die mit 1,45 Kilometer längste Außenmole Europas mit ihrem grünen, historischen Leuchtfeuer und kommt aus dem Hafen in bewegteres Fahrwasser. Wünscher erzählt wie aus dem Buche. "Wegen der Konkurrenz sind die Sassnitzer und die Binzer sich heute noch nicht richtig grün." Neues im Minutentakt. "574 Kilometer beträgt eine Umrundung der Insel, die 1013 Quadratkilometer Fläche umfasst. Ich erinnere mich an eine Familie. Die wollte binnen Tagesfrist vom Kap Arkona über Hiddensee bis zum Meereskundemuseum Stralsund Programm machen. Sie sind nicht noch einmal gekommen, um mir zu erzählen, wie sie es geschafft haben", frotzelt Wünscher. "Nehmen sie sich also nicht zu viel vor an einem Tag. Rügen ist groß." Dann kommt er nochmals auf die Fischer zu sprechen, als es um den Wiederaufbau geht:

"Früher hatten wir den Kaiser und die Generale und die Kisten waren voller Aale. Bei Hitler und Göring waren die Kisten voll mit Hering. Bei Erich und den Kommunisten, hatten wir keine Nägel für die Kisten. Oder Nägel und keine Kisten."


Ein Signalton von der Brücke unterbricht den Redefluss. "Maschine wird heiß", signalisiert Steuermann Ralf Rüdiger Schumann. Das Kühlwasser streikt. Wünscher erinnert das an die Arbeitsteilung an Bord. Schließlich ist er Maschinist. Die defekte Sicherung an der Pumpe ist schnell gefunden. "Klein Helgoland heißt der Stein, den sie dort sehen. Darüber liegt der Nationalpark mit seinem einzigartigen Buchenwald." Der Übergang macht ihm keine Mühe. Er kommt auf die filigranen Orchideen und die Konflikte um den Nationalpark zu sprechen. Wie die Leute versuchten, diese immer wieder auszubuddeln, obwohl die doch sowieso nirgends wachsen. Irgendwo aus der Tasche kramt er Seeigel und Donnerkeile hervor und kommt nach den Waldwegen des Nationalparkes auf die steinreichen Strände. "Dies ist ein sogenannter Hühnergott. Wer den findet, hat immer Glück" hält er den Flintstein mit Loch hoch und wirft seinen Zuhörern in ein paar Sätzen die gesamte Eiszeit vor. Um auf den stärksten Schneesturm 1978/1979 im Winter zu kommen. "Der hat die gesamte Insel begraben." Vom Hölzchen zum Stöckchen, aber immer fließend. "Sie wissen ja, was des Seemanns Körper am meisten fürchtet. Wasser. Von außen wie von Innen. Deshalb kommt dort das Leuchtfeuer Kollicker Ort. Es schützt uns Seeleute vor dem baden gehen."


Wünscher ist überzeugt, die Leute bei ihm an Bord wollen Spaß haben. Und nicht den Alltagskram. "Hier werden auch die Automenschen mobil und erleben was. Viele sind dabei, die in den Fünfzigern gingen. "Die waren 1990 als Erste wieder hier." Und dabei bekennt sich der Seebär zu einer sentimentalen Ader. Er hat 1990 die Havel für 1,18 Euro von der Treuhand als Museumsschiff gekauft.

"Das ist wirklich interessant was er erzählt. Man muss sich das Wesentliche eben rausfiltern." Sagt Heinz-Georg Pächer aus Brendelburg. Ulrich Ahlrichs macht wie seine Frau mit dem Kolpingverein eine Woche Urlaub auf Rügen. Sie sind begeistert und hängen Wünscher an den Lippen. "Authentisch" finden sie es.

Karl-Heinz Heidemann entdeckte die Kalinin im Internet, weil er eine Ausflugsmöglichkeit für seine 37 Kolping-Leute suchte. Er hat auch den Rest der Reise vorbereitet und findet, dass die Seefahrt ebenso dazugehört, wie die Fahrt zum Königsstuhl und der Besuch am Kap Arkona. "Mit den Zahlen für Rügen nimmt es Wünscher aber nicht so genau", sagt der Hobbyreiseleiter, der sich zu Anfang die Ansage Wünschers gemerkt hat, dass nicht alles gelogen sei, was er erzähle.

Der "Reiseleiter-Maschinist-Vorzeigeseemann" ist immer auf dem Laufenden, was ihn erwartet. "Meine Tagesgäste schätze ich schon bei der Begrüßung von Fahrt zu Fahrt ein und weiß, ob ich ´ne Schippe drauflegen muss oder normale Fahrt genügt. Die Zuhörer müssen in fünf Minuten dabei sein". Auf der Rückfahrt vom Königsstuhl übrigens sind die rund 30 Gäste für sich. Mit Musik aber ohne Wünscher. Der steht aber natürlich für Fragen bereit.

Übrigens: Der Seebär besitzt auch noch ein völlig anderes Gesicht. Wenn er mit seiner schwarzen Kalinin Seebestattungen durchführt. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.

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